Literatur Zündkirsche

Dieses Thema im Forum "Literatur" wurde erstellt von Pyromartin, 1. Dezember 2006.

  1. Hallo,
    hier möchte ich besonders diejenigen Kollegen ansprechen die in der historischen deutschen pyrotechnischen Literatur belesen sind.
    Beim Lesen eines im "Journal of the Society of Chemical Industry"1898 abgedruckten Vortrags von Dr.Hans Goldschmidt,dem Erfinder des Thermits,ist mir wieder einmal der Begriff "ZÜNDKIRSCHE"aufgefallen.Er wird dort für verschiedene Anzündanordnungen für Aluminothermische Gemische verwendet.Eine Google Suche zeigt aber auch nur Hinweise auf diese Anwendung die wohl alle auf Dr.Goldschmidt's Veröffentlichungen zurückzuführen sind.Meines Wissens nach ist der Begriff aber ein viel älterer deutscher pyrotechnischer Fachbegriff.Leider konnte ich bisher keine anderen Anwendungsbeispiele dafür finden.Wer kann Infos darüber(Anwendungen,Zusammensetzungen,Formen,Ursprung,Entwicklung dieses Fachbegriffs) zur Verfügung stellen.
     
  2. Hallo Martin,

    nachdem ich ein paar Werke gewälzt und ein bißchen gesucht habe, habe ich die Vermutung, dass es sich nicht um einen Fachbegriff aus der Pyrotechnik, sondern aus der Versuchschemie handelt.

    Ellern (1968) zitiert bei seiner Erklärung der Zündkirsche (S. 194) ein deutsches Lehrbuch der anorganischen Chemie. Danach bestehen Zündkirschen aus einer Mischung von Bariumperoxid und Magnesiumpulver, die mit Kollodiumlösung angeteigt bzw. gebunden und zu einer Kugel geformt wird, wobei ein eingearbeitetes Magnesiumband als "Zündschnur" dient. Das fertige Objekt sieht aus wie eine Kirsche. Das Magnesiumband wird angezündet und zündet das Gemisch aus Bariumperoxid und Magnesiumpulver, welches wiederum genug Energie entwickelt, um das Thermit zu entzünden. Obendrauf (2001) rät von dieser veralteten Methode übrigens ab, weil es durch herabfallende, brennende Teile des Magnesiumbandes häufig zu Frühzündungen kommt und außerdem der Feuerhof des brisanten Satzes der Zündkirsche gefährlicher sei als die eigentliche Thermit-Reaktion. Er rät deshalb zum Kauf von konfektionierten Zündstäbchen für Thermit.

    In anderer historischer (pyrotechnischer) Literatur konnte ich den Begriff "Zündkirsche" nicht finden. Er taucht aber bis heute in Werken zur anorganischen Versuchschemie auf und wird dabei immer wieder - wie Du auch angemerkt hast - auf Goldschmidt zurückgeführt.

    Viele Grüße

    Feuer
     
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  3. So etwas in diese Richtung habe ich auch gefunden


    Das Gemisch wird durch eine Zündkirsche, die aus Magnesiumpulver und einem sauerstoffgebenen Stoff ( z.B. Bariumperoxid oder Kaliumchlorat ) besteht, zur Entzündung gebracht. Die Zündkirsche erzeugt die zur Erreichung des Zündpunktes des Thermit Gemisches erforderlichen Temperaturen.​
    Dieses Verfahren wird zum verschweißen von z.B. Eisenbahngleisen verwendet.​

     
  4. Hallo Kay,
    alle diese Textstellenverweise,auch "Ellern"begründen sich auf Goldschmidts Veröffentlichungen.Ich habe diesen Begriff aber auch an anderer Stelle in der historischen pyrotechnischen Literatur gesehen,weiß aber nicht mehr wo.Auch ich habe ein paar Bücher durchforstet,konnte aber bisher nichts finden.Ich meine diesen Begriff auch in der militärischen pyrotechnischen Literatur Anfang des 20.Jahrhunderts irgendwo mal gesehen zu haben und in pyrotechnischer Literatur des 19.Jahrhunderts.Die Form und Verwendung sind klar,eine Anzündmischung,womöglich in einem Stück Papier zu einer Kugel zusammengedrückt mit heraushängender Anzündleitung was dann ja aussieht wie eine Kirsche.Die Suchrichtung ist jetzt:Was war im 18.-19.Jahrhundert so schwer entzündbar das es einer derartigen Anordnung bedurfte?
    Gruß,
     
  5. #5 Pyromartin, 3. Dezember 2006
    Zuletzt bearbeitet: 4. Dezember 2006
    Hallo Kay,
    hier habe ich gleich noch eine kniffelige Frage für deine Recherchekünste.Beim Stöbern in der Bibliothek meines dänischen Kollegen hat es mir ein handgeschriebenes Notizbüchlein eines dänischen Marinefeuerwerkers der um 1900 im dortigen Arsenal arbeitete,angetan.Dies ist die Anfangszeit der elektrischen Zündung,die Zeit der ersten Batterien.Für diese Anwendung hat er einen Satz aus Schwefelantimon und KCLO3 notiert den er "EBNERS SATZ"nennt.Dies hört sich sehr deutsch an obwohl es natürlich genau so gut ein Däne sein kann.Niemand bisher hat je von diesem Begriff gehört.Wen könnte man da fragen?
    Gruß,
    Martin.
     
  6. Hallo Martin

    Den Begriff "Ebners Satz" konnte ich weder im Wiki noch bei Google finden.
    Der oben beschriebene Satz aus Schwefelantimon und Kaliumchlorat ist Bestandteil der sogenannten "Sicherheitszündhölzer". Im folgenden Link ist ein kurzer Abriß über die Geschichte dieses Zündmittels enthalten:
    http://www.chf.de/eduthek/projektarbeit-lindenhahnyilmaz.html#2
     
  7. Im Römpp werden anstatt der Zündkirsche ebenfalls Zündstäbe empfohlen.
    Diese sollen aus einem Eisendraht bestehen, der zu 60% aus Bariumnitrat, zu 24% Aluminium und zu 16% aus Dextrin besteht...

    Viele Grüße
     
  8. Wer der mutmassliche Artillerist und/oder Pyrotechniker Ebner war, der vermutlich als Erster auf die Idee kam, das bis dahin gebräuchliche Gemisch mit Realgar bzw. Phosphor durch Antimontrisulfid zu ersetzen, ist mir leider auch nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass in der Dänischen Marinebibliothek "Die Kunstfeuerwerkerei zu Lande" von Uchatius aus dem Jahr 1848 existierte (meine Ausgabe trägt den entsprechenden Stempel). Uchatius beschreibt darin elektrische Zünder, deren Primärsatz aus den o.g. Komponenten bestand und deren Produktion und Handhabung ziemlich heikel gewesen sein dürfte. Im Buch "Die Feuerwerkerei" von Eschenbacher aus dem Jahr 1897 werden elektrische Zünder beschrieben, deren Primärsatz der Zusammensetzung des Ebner-Satzes entsprechen dürfte.
    Wir dürfen also annehmen, dass die Umstellung auf den etwas weniger empfindlichen (aber trotzdem noch ziemlich heiklen) Satz in diesem Zeitraum vonstatten ging. Eine ungefähre Vorstellung liefern die "Tron de Bac" in Valencia, deren Komposition ähnlich aufgebaut ist.
    Möglicherweise ist diese Umstellung bereits mit der Entwicklung der Zündnadelgewehre parallel einhergegangen, was eher für einen früheren Zeitraum sprechen würde (die Zündpillen enthielten ein ähnliches Gemisch).
    Sätze nach Pyrotechnikern zu benennen ist nicht unüblich. Beispiele dafür sind das "Deisenroth-Pulver oder der Knallsatz "Uhlhorn". Diese Bezeichnungen bleiben jedoch gewöhnlich firmenintern, was eine Nachforschung leider ziemlich erschwert.
     
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  9. Ebner war ein östereichischer Artillerist des 19.Jhdt.s und ist sozusagen der Begründer der elektrischen Schiesstechnik. Neben dem Antimontrisulfid/Chlorat Zündsatz hat er auch viele andere Erfindungen von elektrischen Maschinen für die Zündtechnik hervorgebracht.
    "Die Troy de Bac" in Valencia sind Chlorat-Schwefel Knallerbsen und haben nichts mit dem elektr.Zündsatz von Ebner zu tun. Das Antimontrisulfid wird selbst heute noch in Zündsätzen eingesetzt.
     
  10. Danke für die Info. Über die Person Ebner war mir bis heute nichts bekannt, allerdings habe ich mich diesem speziellen Bereich auch nicht sonderlich intensiv auseinandergesetzt.
    Was die Trons angeht, meine ich die Aussage eines spanischen Pyrotechnikers noch im Kopf zu haben, der angesichts der EU-Auflagen darauf hingewiesen hat, dass dieser Satz mithin seit über 40 Jahren ohne Zwischenfälle produziert und angewendet wird. Den Rest habe ich mir wohl aus dem grellweissen, spratzigen Lichtblitz und dem Erscheinungsbild der Schwaden zusammengereimt. Never mind, ich will schliesslich keine Desperta veranstalten. Aber gibt es eine Quelle, die die Verwendung von Schwefel in der Rezeptur zuverlässig bestätigt?
     
  11. #11 Pyromartin, 30. September 2021
    Zuletzt bearbeitet: 30. September 2021
    Ich habe Jahre dazu gebraucht um heraus zu finden was in den Knallerbsen drin ist. Die sind ja ewas größer als in D. Wohl 2008 fand in Valencia das internationale "Symposium of fireworks" statt. Für diesen Anlass hat das Ajuntamento Valencia ein wunderschönes, informatives Hardcover-Buch von 345 DIN A4 Seiten, mit dem Titel "Pirotecnia en Valencia" heraus gebracht. Darin wird auch über die Problematik dieser traditionsreichen Veranstaltung berichtet. Eigentlich ist dieser Satz seit 200 Jahren in D, GB u.s.w. und in der EU strikt verboten. Valencia hat es aber fast immer geschafft Ausnahmen von den Madrid-EU Regeln zu erlassen. Vor 25 Jahren gab es da 7,5gr Knaller und "Cohetes Borrachos" mit 7 Verzögerungen und einem ganz guten Schlag am Ende überall frei zu kaufen und auch überall in der Stadt zu verwenden. Mittlerweile ist die Satzmenge bei Knallern glaube ich auf 1,5gr herunter gegangen, die traditionellen "Cohetres Borrachos" sind verschwunden und nur eine Sorte ohne Verzögerungen ist frei käuflich. Zum Verwenden muß man zum Holländer Knallplatz gehen, in der Stadt gibts Ärger. Das ist nicht mehr das freie Valencia. Oh, damals in 2008 galt die Verordnung das die "Troy de bac" nur von 1 Firma hergestellt und nur an die Fallas Vereinsvorsitzenden persönlich abgegeben werden dürfen. Der Vereinsvorsitzende hat sie dann nur für die Veranstaltung, an die Vereinsmitglieder, verteilt. Wie der aktuelle politische Stand ist, weiß ich nicht. Man kann nur hoffen das Valencia sich seine speziellen Freiheiten noch lange erlässt. Aber, auch durch so einige schreckliche Unfälle hat man vom Ajuntamento die besonderen Freiheiten immer mehr beschnitten. Zu dem Buch: Es wird heutzutage wohl kaum noch zu bekommen sein. Das Buch ist halb/halb Spanisch/Englisch. Der original spanische Teil ist Klasse. Die Übersetzung ins englische wurde von einer Maschine gemacht und ist absolut grauenhaft. Die Übersetzung hätte man besser weggelassen, sie verschandelt dieses sehr informative Buch.
     
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  12. Danke für die ausführliche Antwort. Ich habe mir in Valencia auch nicht verkneifen können, mich mit einschlägiger Literatur zu versorgen und das Buch befindet sich seit mehreren Jahren in meinem Besitz. Auf welcher Seite wird die Zusammensetzung erwähnt?
    Ich nehme an, die Einstufung der Fallas als immaterielles Kulturerbe dürfte zur Begründung einer Ausnahme unter dem Gesichtspunkt Tradition mehr als rechtfertigen. Ansonsten werden die heimischen Konsumentenprodukte auch in Valencia zunehmend durch Importware verdrängt. Schade.
    Zu Schwefel in Chloratgemischen haben insbesondere die Briten eine sehr klare Meinung, die mit dem Explosives Act von 1871 manifestiert wurde. Die Sache rutschte dann über die British Standards nahtlos in die EU. Ich kann mich noch gut erinnern, welchen Tanz Her Majesty's Inspector Of Explosives aufgeführt hat, als in einem Batch Römische Lichter Spuren von Chlorat entdeckt wurden, vermutlich weil der Hersteller in China seine Mühle nicht ausreichend gereinigt hatte.
    Die Reaktion seines Landsmanns, der als Teilnehmer der EU Delegation erstmals die Fallas besuchte, soll entsprechend legendär ausgefallen sein. Aber das ist eine andere Anekdote.
    Vor der Harmonisierung gab es in Deutschland eigentlich kein aktuelles Verbot. Es war durchaus gängige Praxis, Chloratsterne mit Mehlpulver oder Zwischensätzen anzufeuern, die Schwefel enthielten. Es kostete ein Trockenhaus und einen Toten, die Geschäftsleitung davon zu überzeugen, sich von dieser Tradition zu verabschieden.
    Soweit ich weiss, hat der Versuch auch A. deLavoisier (der mit dem Phlogiston aufgeräumt hat) beinahe den Kopf gekostet, Salpeter im Schiesspulver durch Chlorat zu ersetzen. Das holte stattdessen später die Französische Revolution nach.
     
  13. Ich habe für die valencianische Gruppe "Xarxa" vor vielen Jahren eine Übersetzung (die wesentlichen Teile) des deutschen Sprengstoffgesetzes gemacht. Da stand aber auch schon drin das Chlorat/S Mischungen verboten sind und wie in GB ist das Verbot schon sehr alt. Das betrifft aber nicht Sternmischungen oder andere Farbmischungen, nur den reinen Chlorat/S Satz. Es ist der einfachste und billigste Knallsatz und wird deshalb, selbst heute noch, in so manchen Ländern verwendet, wo nicht so viel Geld zur Verfügung steht wie bei uns. Ab Seite 197 ist die Traditionelle und politische Entwicklung der Desperta-Tro de bac, sehr schön in spanisch erklärt. Als weiterer Bestandteil wird dort Antimontrisulfid genannt plus (ich vermute kleine Steinchen), aber leider spreche ich kein spanisch.
     
  14. Danke für die Information. Ja, die entsprechende Passage liest sich haarsträubend. Im Gegensatz zu den Anfängen zwischen 1930 und 1940 verzichtet man inzwischen zumindestens auf das Aluminium (da in dieser Kombination auch in Spanien verboten ist). Warum man allerdings die Inkompabilität der Komponenten auf Chlorat und Antimontrisulfid allein beschränkt und damit den nasschemischen Herstellungsprozess begründet, kommt mir Spanisch vor. Aber die Diskussion ist akademisch. Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Vielsagend allerdings der Hinweis von V. Caballer, dass die marktbeherrschenden Produzenten der frühen Jahre inzwischen verschwunden sind.
    Beim Füllstoff handelt es sich in der Praxis vermutlich um scharfkantigen Sand, der in das flüssige Gemisch eingetragen wird.
    Das explizite Verbot von Schwefel in Chloratknallsätzen findet sich wo? In der Vergangenheit gab es m.E. ziemlich bedenkliche Rezepturen im Bereich Knallspielwaren.
     
  15. Eigentlich ist die Fragestellung nach der aktuellen Gesetzeslage in diesem Themenbereich schlecht aufgehoben. Die einschlägige Anlage zur SprengV und die BG-Vorschriften gehören im engeren Sinne nicht unbedingt hierher.
    Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang noch die Aussage eines Pyrotechnikers, der hierzulande Cover für eine Truppe von der Iberischen Halbinsel gemacht hat. Er berichtete über kugelförmige Effekte, die aufgehängt und mit Stockschlägen zur Explosion gebracht wurden. Das Knallgeräusch soll dem Vernehmen nach "sehr laut" gewesen sein. Ist etwas über diesen Effekt bekannt?
    Der Werdegang der Verbotskultur im Hinblick auf die tückische Natur von Chlorat/Schwefel-Gemischen für UK begann nach meinen Unterlagen mit dem Explosives Act von 1875. Praktisch umgesetzt wurde das Ganze durch die Order No. 15 im April 1894 mit dem Stichtag 1. Januar 1895 mit der Begründung: "Mixtures of chlorates with sulphur are not only liable to spontaneous ignition, but tend to become exceedingly sensitive to ignition by friction or percussion, and may explode with far greater violence than gunpowder"(Guide To The Explosives Act, 1875 (1941).
    Gab es vor dieser Zeit schon einschlägige Verbote? Im Report From The Select Committee On Explosive Substances vom 26. Juni 1874 finden sich im Anhang No. 17 im Unterpunkt 3 noch Zusammensetzungen von Chloratsprengstoffen mit Schwefelanteil (Horsley's Blasting Powder,Brain's Blasting Powder).
    Sicherlich auch von Interesse: In welchen Ländern wurden in der Vergangenheit oder evtl. auch noch gegenwärtig Knallkörper auf dieser Basis produziert? Rotknallsatz mit Realgar ist mir bekannt, aber reine Gemische dieser Art habe ich in der historischen Literatur noch nicht gefunden.
     
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